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March

2024

Der "neue Bund" beim Propheten Jeremia

Bruder Jeremias OSA

Predigt von Br. Jeremias M. Kiesl OSA am 16./17. März 2024 über Jer 31,31-34
(5. Fastensonntag B | Brunnenkirche zu Erfurt)

Lektorin: Laurin Katharina Singer
Evangelium: Br. Pius M. Wegscheid OSA

Musik:
Projektchor der Brunnenkirche
unter der Leitung von  Bernadett Wollensak

Fotos von Matthias Kiesl oder gemeinfrei Wikipedia:
Jeremia diskutiert mit Gott (Bibliotheca Apostolica
Vaticana), Mosaik aus Monreale (Palermo), Basilica di S.
Giovanni in Laterano, Michelangelo - Cap. Sixtina,
Taufstein der Reglerkirche zu Erfurt, Trier / Basilika St.
Matthias

Einleitung

„Interessiert mich die Bohne!“ Die diesjährige Fastenakti­on von MISEREOR richtet denBlick auf nachhaltige Land­wirtschaft und gesunde Ernährung. Gemeinsam mit  ko­lumbianischen Projektpartnern setzt sich Misereor mit al­ternativen An­baumethoden für die Verbesserung der Le­bensbedingungen kleinbäuerlicher Familien ein. Denn eine gute Er­nährung für alle braucht Vielfalt vom Acker bis auf den Teller und eine gerechtere Verteilung.

Ein weiterer Schwerpunkt ist in diesem Jahr der Anbau von Kaffee, nicht selten unter Einsatz von Glyphosat und anderen Pflanzenschutzmitteln, mit denen die Kaffee­pflüc­ker ungeschützt in Kontakt kommen. Kaffee steht wahr­scheinlich beiden meisten von uns auf dem Früh­stückstisch. Es muss uns also sehr wohl die Bohne in­teres­sieren, wie Menschen leben (können), die unseren Kaffee produzieren. Zur Unterstützung dieser und ähnli­cher Pro­jekte in Kolumbien und anderswo bitten uns Mi­sereor heu­te um eine großzügige Kollekte.

Fragen wir uns heute: Interes­siert mich die Bohne? Inter­essieren mich die Schicksale der Men­schen welt­weit? Und wenn die Antwortet lautet „Ja“: Dann lassen Sie uns gemeinsam mit Misereor für die Um­kehr zu mehr Gerechtigkeit eintreten!

Predigt zu Jeremia 31,31–34

Kann man mit Gott im Bunde stehen? Das klingt für unsere Ohren zumindest ungewohnt. In der hebräischen Bibel dagegen scheint die Vorstellung gang und gäbe, dass Menschen, ja sogar ganze Völker von Gott einen Bund angeboten bekommen. Dabei wird ein spezielles Wort verwendet, das in der griechischen Übersetzung διαθήκη lautet. Das meint nicht so sehr einen Vertrag auf Augenhöhe. Viel­mehr bedeutet διαθήκη so viel wie Bund, Verfügung, [Heils-]Ordnung oder auch Testament.

„Bund“ meint „Inpflichtnahme eines Schwächeren durch einen Stärkeren. Dabei sagt meist der Stärkere dem Schwächeren Schutz zu. Theologisch bedeutet „Bund“, dass der Mensch von Gott verpflichtet wird. In erster Linie aber verpflichtet sich Gott selbst gegenüber uns Menschen.

Am Sinai schloss Gott einst einen solchen Bund mit Mose und dem Volk Israel. Die feierliche Selbstverpflichtung des Volkes lautete: „Wir wollen alles tun, was der HERR gesagt hat“(Ex 19,8)! Und auf der anderen Seite die Zusage Gottes: „Ich schließe einen Bund mit euch …“ (Ex 34,10). Der Bund am Sinai bildet den Kern der Bundesbeziehung zwischen Gott und Israel, das seinerseits diesen Bund durch viele Gesetzesbestimmun­gen weiter bekräftigt und konkretisiert. Doch gleichzeitig müssen die Propheten feststellen: Israel hat den Bund fortwährend gebrochen, ist fremden Göttern nachgelaufen und seine Herrscher haben die Armen und Schwachen unterdrückt.

Heute haben wir vom „Neuen Bund“ gehört, den Gott durch den Propheten Jeremia ankündigt. Es ist die einzige Stelle im AT, an der explizit von einer neuen διαθήκη die Rede ist. Wichtig ist, dass wir nicht denken, hier löse der neue den alten Bund an. Dieses Missverständnis (auch Thomas von Aquins: novo cedat ritui) hat viel Unheil angerichtet. „Neu“ meint hier vor allem „erneuert“ und v.a. „unverbraucht“. Der Bund am Sinai wurde von Gott niemals gekündigt. Das müssen gerade wir Christen immer wieder erinnern, damit unsere Sicht auf das Judentum nicht überheblich wird... Gott hält an seinem Versprechen fest.

Das ist nicht selbstverständlich. Denn Jeremia spricht vom „unverbraucht-neuen Bund“ in einer scheinbar völlig hoffnungslosen Situation. Jeremia hatte immer wieder ohne Erfolg zur Umkehr aufgerufen. Als die Neubabylonier dann Jerusalem eingekesselt hatten und jeder einsehen musste, dass Jeremia mit Recht vor den politischen Ambitionen Israels gewarnt hatte, da ließ der König den Propheten gefangen nehmen. Vielleicht hoffte er, Jeremia als Faustpfand nutzen zu können: Gott muss doch helfen, mindestens seinem Propheten muss er doch beistehen.

Stellen wir uns also einen Moment lang die konzentrischen Kreise der Hoffnungslosigkeit um Jeremia vor. Die Stadt Jerusalem ist eingekesselt, der Prophet wurde gefangen genommen und in die Burg verbracht, die am Rand desTempelberges errichtet war. Im innersten Wachhof sitzt Jeremia nun; zwischenzeitlich hatte man ihn sogar mal in die leere Zisterne imWachhof geworfen – noch so ein Kreis der Hoffnungslosigkeit – ihnaber dann doch wieder heraufgezogen.

Hoffnungslos. Das ReichIsrael kurz vor dem Untergang, der Tempel vor der Zerstörung. DasVolk vor der Verschleppung. Die Dynastie der Davididen vor demErlöschen. Der Bund mit Gott damit doch unwiderruflich am Ende.

Doch jetzt kommt Gott ins Spiel – und lässt seinen Propheten mitten in der Zerstörung den unverbraucht-neuen Bund bekräftigen. In der Hoffnungslosigkeit kannst du dich nur noch Gott überlassen. Doch das mit Fug und Recht.

Im neuen Bund, sagt der Prophet, werden die Weisungen Gottes nicht mehr auf Stein geschrieben wie am Sinai, sondern ins Herz der Menschen und in ihren Sinn. DieTora Gottes wird verinnerlicht: „Ich gebe meine Tora in ihr Inneres, und auf ihr Herz schreibe Ich sie. Ich werde ihnen zum Gott, und sie werden Mir zum Volk“ (Jer 31,33b.c).

Mit Herz meint die Bibel nicht romantische Gefühlsduselei. Das Herz ist vielmehr der Motor, der innerste Antrieb des Menschen. So betonen auch die jüdische Ausleger, dass Gott eben die Absicht verfolge, seinem Volk den Willen und die Neigung zum Einhalten der göttlichen Tora zu schenken, damit sie – anders als bisher – keines der Gesetze mehr übertreten.

Wenn das Bündnis ins Herz geschrieben wird, dann wird es zum innersten Antrieb, wird Teil der Persönlichkeit; im Herzen werden „die guten und schlechten Vorsätze geformt“. Gesetze, die für immer gelten, müssen „ins Herz eindringen und den ganzen Menschen ergreifen“. „Israel wird Gott verehren und zu Seinem Volk werden.“ – „Israel ist es, das sich ändern muss und ändern wird.“ Mit Gottes Hilfe – oder sollen wir sagen: mithilfe des Hl. Geistes? – kann der Mensch endlich seiner Verantwortung gerecht werden, denn wollen und vollbringen wachsen von Gott her in ihn / in sie hinein.

Auch der neuen Bund basiert auf der Tora. „Der neue Bund ist der alte“. Auch im neuen Bund wird es Fehltritte geben, braucht es Vergebung und Neuanfänge. Wir bleiben sündige Menschen. Aber wir tragen Gottes Gesetz im Herzen, es sei denn, wir wenden uns bewusst wieder davon ab.

Martin Buber charakterisiert den neuen Bund aus Jeremias „Trostbüchlein“ so: „Wenn Gott dem Volk sein Wort ins Herz gibt, bedarf es keiner Sicherung mehr.“ Denn die Verinnerlichung des Bundes führt einen Menschen zur Ehrfurcht und Erkenntnis Gottes. Die Tora wird zur „organischen Funktion der Persön­lichkeit“; „ebenso natürlich und spontan wie die Schläge des Herzens werden nun die Annäherungen zum Gesetz Gottes …“

Die Jünger Jesu haben den neuen Bund sehr früh mit Jesu Leben, Leiden und Sterben in Verbindung gebracht. Jesus selbst spricht ja von ihm im Abendmahlssaal, als er den Jüngern den Kelch reicht. Er begründete diesen neuen Bund mit der Haltung des unbedingten Vertrauens, das ihn selbst noch in Gethsemane Gottes Willen zustimmen lässt.

Doch auch das Leben Jesu spricht immer wieder von Liebe und Vertrauen: „Du sollst Gott lieben mit allen Fasern deines Seins, ebenso wirst du doch auch den Nächsten lieben, er ist doch wie du!“ – Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes, wird Paulus in Röm 13,10 formulieren – und in der Meditation des Römerbriefes auch Augustinus und viele andere Lehrer der Kirche. So lässt sich die Tora im Doppelgebot der Liebe zusammenfassen.

Im Abendmahlssaal reicht er den Seinen das ungesäuerte Brot, das beim Pessach-Seder an die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten erinnert. Nun sagt Jesus, dass sein eigener Leib wie Brot ist, das sich gibt, damit ein Leben in Freiheit, ja sogar in Freiheit von der Sünde und Gefangenschaft durch das Böse, möglich wird. Das Unmögliche wird ermöglicht durch Jesus, den Christus. Er reicht den Bundesbecher der Kinder Israels seinen Jüngern: Trinkt den neuen Bund! Was Jesus getan und gelehrt hat, vor allem aber wie er geliebt hat, wie er selbst noch seinen Peinigern vergeben hat, das wird lebendig in diesem neuen Bund.

Matthäus wird noch die Deutung hinzufügen „der neue und ewige Bund in meinem Blut“. Das ist in der Tat neu und unerhört und muss von uns immer wieder durchdacht und durchbetetwerden. Für heute mag das aber erst mal genügen...

Der neue Bund erfüllt sich, wo Menschen die Liebe wagen: Nicht weil ich jemand so furchtbar gern habe, sondern weil auch der andere Mensch ist wie ich, Gottes Kind, meine Schwester, mein Bruder: Ein von Gott geliebtes Kind. Wie dürfte ich da hassen? – Nein, lasst uns Christus nachfolgen! Lasst uns mit ihm den Weg der Liebe wagen. Unverbrüchlich! Amen.

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March

2024

Laetare - im Untergag das LEBEN!

Bruder Jeremias OSA

Predigt über 2 Chr 36,14-16.19-23
Eingang

Wir feiern den Sonntag Laetare – freut euch! Schon mehr als die Hälfte des Weges durch die österliche Bußzeit ist geschafft. Mit den Worten aus dem Pro­pheten Jesaja beginnt heute der Gottesdienst:

„Freue dich, Stadt Jerusalem! Seid fröhlich zusammen mit ihr, alle, die ihr traurig wart. Freut euch und trinkt euch satt an der Quelle göttlicher Tröstung.“

Zur Mitte der Fastenzeit spüren wir schon die Vor­freude auf Ostern, das Fest unserer Erlösung. Gott erfüllt uns nicht einfach unsere Wünsche. Er gibt uns mehr, als wir erbitten. Er gibt seinen Sohn für uns.

IHM dürfen wir schon heute, hier und jetzt, begeg­nen. Er spricht sein Wort zu uns. Er wird uns ge­schenkt in Brot und Wein. Er selbst stärke uns, damit wir auch im Alltag fähig sind, Antwort zu geben auf Gottes Wort: durch unser Tun. – Möge sein Erbar­men uns jetzt erfül­len.

Lesung aus dem 2. Buch der Chronik (2 Chr 36,14-16.19-23)
In jenen Tagen
14 begingen alle führenden Männer Judas
und die Priester und das Volk viel Untreue.
Sie ahmten die Gräueltaten der Völker nach
und entweihten das Haus,
das der HERR in Jerusalem zu seinem Heiligtum gemacht hatte.
15 Immer wieder hatte der HERR, der Gott ihrer Väter,
sie durch seine Boten gewarnt;
denn er hatte Mitleid mit seinem Volk und seiner Wohnung.
16 Sie aber verhöhnten die Boten Gottes,
verachteten sein Wort
und verspotteten seine Propheten,
bis der Zorn des HERRN gegen sein Volk so groß wurde,
dass es keine Heilung mehr gab.
19 Die Chaldäer verbrannten das Haus Gottes,
rissen die Mauern Jerusalems nieder,
legten Feuer an alle seine Paläste
und zerstörten alle wertvollen Geräte.
20 Alle, die dem Schwert entgangen waren,
führte Nebukadnézzar in die Verbannung nach Babel.
Dort mussten sie ihm und seinen Söhnen als Sklaven dienen,
bis das Reich der Perser zur Herrschaft kam.
21 Da ging das Wort in Erfüllung,
das der HERR durch den Mund Jeremías verkündet hatte.
Das Land bekam seine Sabbate ersetzt,
es lag brach während der ganzen Zeit der Verwüstung,
bis siebzig Jahre voll waren.
22 Im ersten Jahr des Königs Kyrus von Persien
sollte sich erfüllen,
was der HERR durch Jeremía gesprochen hatte.
Darum erweckte der HERR
den Geist des Königs Kyrus von Persien
und Kyrus ließ in seinem ganzen Reich
mündlich und schriftlich den Befehl verkünden:
23 So spricht Kyrus, der König von Persien:
Der HERR, der Gott des Himmels,
hat mir alle Reiche der Erde verliehen.
Er selbst hat mir aufgetragen,
ihm in Jerusalem in Juda ein Haus zu bauen.
Predigt

Dieser Text hat es in sich. Er ist der Abschluss der Chronik-Bücher. Seine Autoren ziehen eine katastrophale Bilanz: Alle führenden Leute, aber auch das ganze Volk Israel selbst verursachten durch fortwährende Untreue das göttliche Strafgericht, das mit Nebu­kadnezzar von Babylon über das Land hereinbrach. Kein einziger König Israels wird in dieser negativen Gesamtbilanz ausgenom­men. Es werden keinerlei individuellen Unterschiede gemacht: Alle sind mitverantwortlich für die Katastrophe. Im Stil eines kühlen Nachrichtensprechers wird die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, des Hauses Gottes, noch einmal beschrieben.

All das geschah, so die Autoren der Chronik-Bücher, obwohl Got­tes Boten, die Propheten warnten und zur Umkehr riefen. Doch nein, der Tempel wurde nicht etwa erst durch die Chaldäer ent­weiht: Schon vorher, und zwar durch Israel selbst, das sein wollte, wie alle anderen Völker, wurde er geschändet. Die Sklave­rei, aus welcher der HERR einst sein Volk in Ägypten befreit hatte, bleibt die logische Konsequenz: Der Zorn des HERRN war so groß gewor­den, dass es keine Heilung mehr gab (vgl. V. 16). Eine bittere Bilanz...

Die Geschichte Gottes mit Israel ruht. Es geht nicht mehr weiter. Es braucht Ruhe, über drei Generationen hinweg – 70 volle Jahre! – eine schier endlos lange Sabbatzeit. Keiner der Ver­schleppten erlebte das Ende dieser „Babylonischen Gefangen­schaft“. 70 Jah­re Sabbat! – Wir müssen darüber nachdenken, was die Chro­nisten ihrem Volk damit ins Stammbuch schreiben wollten.

Gerade die Zeit der Babylonischen Gefangenschaft wird für Israel am Ende zu einer besonderen Heilszeit. Dort im Zweistromland findet Israel zu einer neuen Identität, unabhängig von staatlicher Macht und Souveränität. Im Gegenteil: Mitten in der Krise und bar jeglicher Macht durchdenken seine Theologen die Überlie­fe­rung und Heils­geschichte mit ihrem HERRN und Gott noch einmal ganz neu. Sie finden zu einer Tiefe, wie sie vorher kaum zu erwarten war.

Da ist der Sabbat. Bis heute DAS Gebot für Juden, Zeichen jüdi­scher Identität, hochgehalten von allen, die als gläubige Juden le­ben wollen. Christen und Muslime bekamen von den Juden die­ses Gebot als Geschenk, freilich leicht verschoben auf den Freitag (Muslime; „Der beste Tag, an dem die Sonne aufgeht, ist der Freitag. Adam wurde an diesem Tag erschaffen, an diesem Tag ging er in Paradies und wurde wiederum an diesem Tag aus diesem verwiesen. Auch das Jüngste Gericht wird an diesem Tag anbrechen.“ (Imam Muslim)) oder auf den Sonntag (Christen), den „8. Tag“, den Tag der Auferstehung und Vollendung der Welt in Christus. Der Tag der Ruhe, die vielleicht größte soziale Errungen­schaft der Menschheitsgeschichte, ein wahres Gottesgeschenk für alle. Wir sollten es heute nicht leichtfertig über Bord werfen!

Eine uralte jüdische Legende erzählt, dass der Messias sofort komme, wenn auch nur einen Sabbat lang alle Juden dieser Erde den Sabbat halten würden. – Das bedeutet doch vielleicht: Einen Sabbat lang demütig einwilligen, dass es auf Gott ankommt und nicht auf unser rastloses Schaffen und Machen....

70 Jahre Sabbat in Babylon werden zu einem neuen Blick auf Gott und Welt. Den Chronisten wird klar, dass nichts und niemand als Gott bezeichnet werden kann, wenn dieser Gott nicht einer und ein einziger ist. „Außer mir gibt es keinen Gott!“ (Jes 44,6; Dtn4,35; Mk 12,29 etc.) Dieses klare wir trotzige Wort wird in Meso­potamien erstmals von Juden gespro­chen: der absolute Mono­theis­mus, die Er­kenntnis, dass Gott nur einer sein kann, der höchs­te und einzi­ge. Der HERR ist keine lokale Gottheit, die außer­halb des eigenen Territoriums machtlos wäre. ER ist der HERR der ganzen Welt!

In Babylon entstehen die Schöpfungserzählungen der Genesis. Nein, mit Absicht harmonisiert man nicht. Beide Geschichten be­leuch­ten einen speziellen Aspekt: Hier Gott, der allein mit seinem Wort alles ins Dasein ruft, dort Gott als Gärtner und Töpfer, der den Menschen formt und ihm sozusagen mit einem Kuss den Le­bens­atem einhaucht – um ihn dann gleich zum Part­ner zu ma­chen, der den Tieren ihre Namen gibt. Anders als in der Religion der babylonischen Sieger ist die Schöpfung kein kosmischer Un­fall, in der die Menschen leiden müssen, weil sie die Schuld der Götter zu tragen hätten. Der biblische Gott ist Schöpfer aus Liebe: Er ist die Liebe, die sich verströmt. Alles ist gut, ja sogar sehr gut.

Die ersten Bücher der Bibel werden in Mesopotamien zusammen­gestellt und kommen später in der bis heute vorliegenden Form zu­rück nach Judäa: der Pentateuch, die Tora, das Gesetz, das dem Leben dient: „Wähle das Leben!“ (Dtn 30,19), ist die  Botschaft, die im Buch Deuteronomium eindringlich ins Wort gehoben wird.

Und jetzt? Alles verloren? Der Mensch unfähig, Gottes Gebote zu halten? – 70 Jahre Sabbat für Gott: Nachsinnen über Gottes Wil­len und über das eigene Sein und Handeln. Sabbat-Zeit.

Das Chronik-Buch endet mit einem der kühnsten Gedanken, die in unserer Heiligen Schrift zu finden sind: „Der HERR erweckte den Geist des Königs Kyros von Persien“, lesen wir da (V. 22). Moment mal! Wie kann das denn sein: Der heidnische Großkönig wird von Gott in Dienst genommen?

Tatsächlich spricht auch das Kyros-Edikt davon, dass der König der Supermacht Persien, damals der mächtigste Mensch der Erde (!), im Sinne Gottes, des HERRN, handelt: „Der HERR, der Gott des Himmels, hat mir alle Reiche der Erde verliehen. Er selbst (!) hat mir aufgetragen, ihm in Jerusalem in Juda ein Haus zu bauen“ (V. 23). – Spricht Gott direkt mit Kyous, wie mit einem Propheten?

Wie ist das möglich, dass gläubige Juden in der Verbannung zu einer solchen Sicht der Geschichte kommen, ja Heilsgeschichte entdecken im Wirken einer fremden Macht? Der heidnische Großkönig Kyros wird förmlich zum Vorbild des Gehorsams. Anders als die Könige Israels, denen die Demut fehlte, gehorcht er Gottes Befehl und lässt in Jerusalem den neuen Tempel bauen.

Dieser Neuanfang wird alles andere als großartig ausfallen. Das wissen die Chronisten bereits. Das Buch Esra, das dem zweiten Chronik-Buch folgt, beschreibt die Tränen, die beim Tempelweih­fest fließen. Das neue Gotteshaus ist nur noch ein Schatten des früheren Tempels. Aber das Buch Esra beginnt mit exakt densel­ben Versen wie die Chronikbücher geendet hatten. Entscheidend ist nicht die äußere Pracht. Entscheidend ist: Gott hat einen langen Atem. ER bleibt treu! Unbedingt. ER schreibt Seine Heils­geschichte auch auf den krummen Zeilen, die sein Volk IHM anbietet.  

Das dürfen auch wir uns ins Stammbuch schreiben lassen: Gott vergisst uns nicht. ER steht zu Seinem Wort. ER ist der „unbeirrbar treue Gott“ (Dtn 32,4); das ist die Grundbotschaft der Bibel. Gerade in der äußersten Demütigung der Verbannung erkennt Israel dies in Babylon und hält es für uns eindrucksvoll fest.

An diesem langen Atem Gottes für uns möchte auch ich festhal­ten, wenn es in meinem Leben so scheint, als wäre Gott weit weg. Nein, unbeirrbar treu ist Gott. Er schreibt auch in meinem Leben, auf meinen krummen Zeilen Seine gerade, deutliche Heilsge­schichte. ER kann selbst aus dem, was mir widrig, ja feindlich ent­gegen kommt, Seinen Heilswillen durchsetzen. Das Fremde macht ER dienstbar für sich. Der Gegner kann zu dem werden, der mich auffordert, aufzubrechen, hinaufzuziehen in mein Jerusalem, wo ich in Demut IHM den Tempel neu errichten darf, das Haus, in dem Gott wohnen will. So wie ER Kyros den Israeliten zum Segen werden ließ.

Ob ich das erkennen mag? In Demut will ich mich zumindest er­mahnen und erinnern, dass Gott nicht meine Wünsche erfüllt, sicher aber mein und unser aller Heil im Sinn hat. Amen.

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March

2024

Die Zehn Worte am Sinai und der Tempel Gottes

Bruder Jeremias OSA

am 3. Fastensonntag B in der Brunnenkirche zu Erfurt

Fotos: Matthias Kiesl (Dom zu Lucca, Kanzel in Tangemünde), fr-barry-braum-ekowqf-lop8-unsplash und laura-seaman-bsIpE5LKA6Y-unsplash.

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February

2024

Verklärung Jesu Christi

Christoph Kuchinke

Predigt von Christoph Kuchinke zum 2. Fastensonntag B

Wir wollen Gott in unserer Mitte begrüßen, uns ganz bewusst machen,dass er bei uns ist.

Wir feiern unseren Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters. (1. Kerze) Diese Kerze brennt für Gott und zeigt uns: Gott hat uns und der ganzen Welt das Leben geschenkt.

Wir feiern unseren Gottesdienst im Namen Gottes des Sohnes. (2. Kerze) Diese Kerze brennt für Jesus und zeigt uns: Jesus hat die Liebe gelebt und diese Liebe lebt weiter, wenn wir uns lieben.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes des Heiligen Geistes. (3. Kerze) Diese Kerze brennt für den Heiligen Geist und zeigt uns: Der Geist Gottes berührt unser Herz und macht uns froh und hoffnungsvoll.

So sind wir zusammen und feiern Gottesdienst + im Namen des Vaters und + des Sohnes und des + Heiligen Geistes. Amen

Einleitung

Heute, am 2. Fastensonntag, wird im Evangeliums-Text ein ungewöhnliches Wort „Verklärung“ gelesen. Jesus zeigt für einen kurzen Augenblick wer er wirklich ist. Seine ganze Größe, seine Besonderheit, seine Göttlichkeit. Er offenbart sich als Sohn des lebendigen Gottes in Herrlichkeit. Er strahlt wie die Sonne, unglaublich hell – es übersteigt unsere Vorstellungskraft.

Es ist nicht so einfach, nicht so leicht, sich diese Situation vorzustellen und zubegreifen. Doch dazu später. Zunächst wollen wir uns besinnen:

Jesus, du weißt, was uns fehlt. Du weißt, was wir brauchen. So rufen wir dich an:

Herr Jesus Christus, du bist mit uns wie mit deinen Jüngern auf dem Weg. - Herr, erbarme dich.
Herr Jesus Christus, in dir zeigt sich uns die Liebe Gottes wie warme Sonnenstrahlen. - Christus, erbarme dich.
Herr Jesus, du hast uns in vielen Beispielen gezeigt, auf was wir hören sollen. - Herr, erbarme dich.

Der allmächtige Gott begleite uns auf unserem Lebensweg, er schenke uns Vergebung und neues Leben, durch Christus unseren Herrn. Amen.

Tagesgebet

Gott, du hast gesagt: "Dies ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“.

Öffne uns Augen, Ohren, Herz und Hände, dass wir dich in Jesus erkennen,
dass wir seine Botschaft begreifen und entsprechend handeln können.

Darum bitten wir durch Jesus, unseren Bruder und Herrn. Amen.

Segen

Guter Gott,sei bei uns, wenn eine Situation uns sprachlos macht vor Freude,
sei bei uns, wenn wir erschreckt sind,
sei bei uns, wenn wir Angst haben.
Wir wissen, du begleitest uns in jeder Lebenssituation.
Segne uns:

oder:

Im Vertrauen auf Gottes Liebe, bitten wir ihn um seinen Segen:
Gott, der Vater: Er schaue auf uns mit dem Blick der Liebe. Amen.
Gott, der Sohn: er gehe mit uns die Wege des Lebens. Amen.
Gott die heilige Geistkraft: Er erfülle uns mit seiner Kraft. Amen.
So segne uns alle der gütige Gott, der Vater, der Sohn und der Hl.Geist. Amen.

Predigt

Manchmal erleben wir etwas, was wir gar nicht gut beschreiben können. Unsere Augen sehen etwas, unsere Ohren hören etwas, und wir haben dabei in unserem Inneren etwas gespürt, etwas hat uns berührt. Und wir finden keine richtigen Worte. Kennen Sie das auch?

Besondere Augenblicke, möchten wir festhalten, bewahren, erinnern. Besonders im Sinne von eindrücklich, tief, ergreifend, da tut etwas einfach gut. Da möchte man die Zeit anhalten. Man schließt die Augen und genießt. Manchmal wirklich unvergesslich.

Ein Beispiel: Alle 2 Jahre nehme ich an einer Hüttentour in den Bergenteil. 15 Männer sind eine Woche unterwegs bergauf und bergab. Es ist wirklich anstrengend und manchmal mehr als das.

Wenn wir „oben“ angekommen sind, ja, da sind wir außer Atem, oft auch völlig außer Atem. Dann fallen wir uns auch in die Arme und sagen uns: geschafft, wow, so unglaublich, so unbeschreiblich. Da müssen wir erst einmal ausruhen. Da müssen wir die Aussicht genießen. Die Sonne scheint uns ins Gesicht und wir spüren ihre Strahlen. Es geht uns einfach gut, Platz zum Ausruhen, Essen, trinken, Kraft sammeln.

Das möchte man festhalten, weil es so unvergleichlich schön ist, wunderschön.

Wie könnte man das machen, o.k. Zeichnen. So viel Zeit haben wir nicht. Nach dem Abstieg am Abend vielleicht. Da sitzen wir zusammen und reflektieren den Tag, den geistlichen Impuls, den wir am Morgen von einem von uns bekommen haben.

Aufbrüche, Übergänge, Erschöpfung, Resilienz, Grenzen, Am Ziel, werden sie heißen, 2024 im Rätikon.

„Gipfelglück“ wird es am 3. Tag sein. Wie werden wir das festhalten können?

Da hat schon mal jemand einen solchen Augenblick festgehalten und ich hab  uns das mitgebracht.

„Ist das nicht wunderschön“?

Sie werden denken, sagen: Das ist doch ein ganz normaler Kreis. Ja, genau. Selbst ein ganz normaler Kreis ist wunderschön. Er hat keinen Anfang und kein Ende. Aber er hat eine Mitte. Das ist manchmal ganz entscheidend.

Da schaut man schon verwundert, fragt, ja, was soll das. Alles in Ordnung bei Dir?

In alten Bildern malen einige Künstler in die Mitte das, was ihnen besonders wichtig ist. Vor allem in der Kunst der orthodoxen Kirchen.

Weil Jesus für viele das Wichtigste war, malten sie ihn in die Mitte eines Kreises und verzierten dann den Rand.

Mit Gold, die Farbe des Göttlichen, des Reinen, des ungeschaffenen Lichts.

Dazu passt doch die wunderschöne Geschichte: (Mk9, 2-20 als Evangelium lesen)

Was wir eben gehört haben, hab ich zu Hause in einer Mappe entdeckt: Christi Verklärung, 18. Jh., eine Festtagsikone. Südost Bulgarien. In den großen Kirchen, der orthodoxen und auch der römischen, der 6. August als Festtag und dafür gemalt.

Unser Evangeliumstext heute, am 2. Fastensonntag.

Die Jünger haben zunächst diese Geschichte, dieses Erlebnis nichtweitererzählt, weil es schwer ist, eine solch außergewöhnlicheGeschichte zu begreifen. Manchmal wussten sie nicht mehr:


Haben das unsere Augen wirklich gesehen oder waren es die Augen unseres Herzens?
Haben wir diese Worte mit unseren Ohren, links und rechts, wirklich gehört oder waren es die Ohren unseres Herzens.

Und, wenn der Meister sagt, sie sollen das Erlebnis für sich behalten, haben sie es wohl getan. Es ist ja auch gut, wenn sich Menschen an Abmachungen halten, manchmal ist es gut, erst mal etwas zu behalten, nicht zu plappern.

Und außerdem: Sie sind sicher ganz bei mir, wenn ich sage, dass man so manches Erlebte, Gesehene, Gespürte in ganz besonderen Momenten unseres Lebens – wie auf einem Berg, einem Gipfel wirklich nicht so weitergeben kann, wie es für einen selbst war.

Maler haben es leichter damit, es auszudrücken, was sie in ihrem Herzen bewegt. Um z.B. zu zeigen, dass Jesus das Licht der Welt ist, malen sie oft einen strahlenden Kreis hinter seinen Kopf: den Heiligenschein. Und manchmal setzen sie Jesus selbst in eine strahlende Sonne.

Das könnten wir auch einmal versuchen, eine solche  Zeichnung, ein Bild. Anfangen mit einem Kreis, einfach still oder auch mit Musik, offen sein für das, was jetzt mit mir passiert, geschieht, sich selbst machen lassen, mit Farben, mit Stiften (vielleicht haben sie noch etwas von Kindern oder Enkeln) Oder etwas aufkleben, ausgeschnitten aus Fotos oder was auch immer.

Sie schaffen das, das Bild hell und bunt zu malen oder zu gestalten, dass Sie am Ende sehen können: Jesus ist das Licht der Welt, für mich und nicht nur in den schönen Stunden meines Lebens, erst recht in der Angestrengtheit meines Lebens. Ja, genau da, da möchte er es sein. Mein Jesusbild, zunächst für mich. Das darf auch sein.

Noch einmal kurz zum eben gehörten Evangelium, sonst werden Sie sagen, was war das denn...

Da wird etwas überliefert bzw. gesagt: Wer von uns hört es nicht gern, gleich ob Kind oder Erwachsener: Du bist mein geliebtes Kind, Du bist meine geliebte Frau, mein geliebter Mann. Solch eine Anerkennung braucht jede und jeder. Das hat Wirkung, sich geliebt zu wissen. Auch wenn es einem die Eltern nicht mehr sagen können, auch wenn man keinen Partner hat, mehr hat. Das tut einfach gut.

Auch Jesus brauchte diese Bestätigung vom Vater, seinem Vater. Er weiß sich von Gott geliebt. Er weiß sich von Gott gesandt. So ein Leben, so ein Auftrag ist nicht leicht. Erst recht, wenn man sich darauf nichts einbildet. Auch er braucht diese Zusage: „Du bist mein geliebter Sohn“.

Wir wissen ja auch nicht, was ihm über sein Leben und seinen Weg bewusst war; ob er das Ende und wann gedacht und bedacht hat. Er wusste, was er brauchte. Zuwendung und Zusage, eine gewisse Grundsicherheit des Lebens, das Auftrag ist. Wer sich von Gott geliebt weiß, der kann leuchten und strahlen. Dieses Licht, dieses Strahlen kommt von innen heraus.

So haben wir es eben gehört, so wird es berichtet: Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. „Leuchtend weiß“, „strahlend weiß“, heisst es anderswo. Nein, nicht aus der Werbung, sondern in den anderen Evangelien. Aber genial, kreativ, so ist Werbung, wer davon etwas versteht...

Und dann: Und während er noch sprach, überschattete sie eine leuchtende Wolke. Aus ihr kam eine Stimme: „Dies ist mein geliebter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören“.

Gottes Stimme, s i e sagt: Auf Jesus sollt ihr hören. Wenn ihr auf ihn hört, erfährt man etwas über Gott, wenn ihr über Gott etwas wissen wollt, hört auf Jesus, was er sagt. Weil er alles über Gott weiß.

Das heißt auch: Darauf kann man sich verlassen. Gottes Wort ist Jesu Wort, nicht irgendetwas. Z.B. Ich bin geliebt, angenommen, einzigartig, getragen, aufgefangen, zu allen Zeiten, auf den Gipfeln, in den Tälern meines Lebens.

Wer liebt mich? Wo spüre ich, dass jemand mich gern hat? Woran merke ich das? Was macht das aus mir?

Und noch anders: Wem sollte, hätte ich zu zeigen, zu sagen, spüren zu lassen, dass ich ihn gern habe, liebe, ihn mag? Wie sollte ich es ihm mal wieder, immer wieder mal zeigen, sagen, spüren lassen. Vielleicht braucht es dazu auch Kreativität, weil es nicht so einfach ist.

Manchmal hören wir im Evangelium – wie heute – von etwas Verborgenem, das plötzlich sichtbar wird. Es ist wie ein Geheimnis, das wir sehen und erfahren durften – und doch nicht so ganz verstehen. Eine versteckte Symbolik, besonderes, ungewöhnlich.

Genau, ungewöhnlich, ungewohnt, so ist nun mal der Ausdruck von Gottes Liebe zu uns Menschen und seiner Schöpfung. Sie soll zum Ausdruck unserer Liebe, unserer Zuwendung zu anderen werden. Da sind wir gefragt, da ist Kirche gefragt, beauftragt. Das braucht heute mehr denn je Ideen, Mut, Neues zu wagen. Neues macht oft Angst, erst recht, wenn die Ideen nicht aus der Führungsetage kommen. Und natürlich, von denen, die es alltagstauglich und damit anders sehen und erfahren.

Hat nicht Jesus gesagt, dass wir das Licht sein sollen, leuchten sollen? Einen Auftrag bekommen, ihn annehmen und umsetzen, das ist doch klar, oder? Er hat nicht gesagt, dass wir erst mal abwarten sollen, ob nicht noch jemand anders etwas zu sagen und zu bestimmen hat. Oder, seid vorsichtig, nicht dass da etwas kaputt geht, falsch verstanden werden könnte.

Wir hören es gleich noch im Gebet: Licht sein, erleuchtet sein, nicht nur für sich, für das ringsum. Weil: Das kann verwandeln und nicht nur hier die Gaben am Altar, uns, Sie und mich und durch uns andere. Das ist das heutige Evangelium. Keinesfalls leicht und doch gut, oder?

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February

2024

Bogen und Wüste

Bruder Jeremias OSA

Einleitung

Die Fastenzeit hat begonnen. Wir wurden mit der Asche bezeichnet. Wir sind Kinder dieser Erde, zu der wir zurückkehren werden. Und doch sind wir seit unserer Taufe mehr noch „Kinder des Lichtes“...

Eigentlich heißt diese Zeit „österliche Bußzeit“. „Buße“, das ist kein Begriff, der uns schmeichelt…

Doch es ist wahr: Von Zeit zu Zeit brauchen wir ein Innehalten, eine Phase der Klärung unserer Ziele und Wege, unserer Beziehungen, nicht zuletzt unse­rer Beziehung zu Gott. Die Fastenzeit ist die große Einladung, diesen Raum der Besinnung und der Klä­rung zubetreten. Sie schafft für uns die entspre­chende Atmosphäre.

Hier im vertrauten Raum der Brunnenkirche sind wir um den HERRN versammelt. Er ist der Grund, auf dem wir stehen und die Tür, durch die wir Heili­gen Raum betreten: den heilsamen Raum Seiner Gegen­wart, in dem uns Umkehr und Erbarmen ge­schenkt werden. Gratis.

Predigt über die Texte Gen 9,8-15 und Mk 1,12-15

Der Bund, den Gott nach der Sintflut schließt, war in die­sem Jahr schon einmal Thema bei uns, und etliche von euch haben die Ökumenische Bibelwoche ja mitgemacht. Das Erste Testament hat eine wunderbare Weise, „Gott Gott sein zu lassen“, und dennoch von seiner „Vernarrt­heit“ in seine Menschen immer wieder neu zu erzählen.

Da wird erzählt von der Vernichtung der ganzen Erde durch die Sintflut. Die hatte aber eine Ursache, auch die erwähnt die Bibel: nämlich die immer währende Bosheit der Menschen (Gen 6,5). Noah uns seine Großfamilie sind die Ausnahme, und deshalb  werden sie dennoch erret­tet.

Die Arche, wird in der frühen Christenheit und auf etli­chen Bildern und frühchristlichen Sarkophagen zum Sym­bol der Errettung durch Gott schlechthin. Im 6./7. Jahr­hundert wird Venantius Fortunatus das Holz der Arche mit dem Kreuz verbinden, wenn er im Hymnus „Heilig Kreuz, du Baum der Treue“ (gemeint ist natürlich die Treue Gottes; der Mensch ist ja keineswegs immer so treu...) dichtet: „...du, die Planke, die uns rettet aus dem Schiffbruch dieser Welt“.

Mit Gott zu rechten, ob er das tun darf, die ganze Welt zu zerstören, ist eigentlich Unsinn. Wer bist du, Mensch, dass du deinen Schöpfer anklagen könntest?

Der Clou liegt vielmehr in der Selbstbeschränkung Gottes. Denn nach dem Abfließen der Flut schließt Gott mit Noah einen Bund. Ein Bund ist ja nun eigentlich ein Vertrag zweier Parteien oder Menschen, die sich wechselseitig zu etwas verpflichten und ggf. auch Sanktionen vereinbaren bei Nichteinhaltung des Bundes.

Hier aber geht es um etwas, das irgendwie schräg ist. Denn der Bund wird geschlossen mit zwei „Parteien“, die so gar nicht auf Augenhöhe sind: Gott schließt mit Noah und allen Menschen nach ihm und allen Tieren (sic!) ei­nen Bund. Alle Geschöpfe aus Fleisch und Blut bilden die eine Vertragspartei! Der Schöpfer bietet seiner Schöp­fung einen Bund an. Das kann ja nur eine Selbstverpflich­tung Gottes, eine Selbstbeschränkung Gottes bedeuten.

Und genau das ist es auch. Der Regenbogen wird zum Symbol der Erinnerung Gottes (!) an diese Selbstbe­schränkung. Wir alle haben wahrscheinlich als Kinder und über das Kindesalter hinaus immerwieder Regenbögen gemalt oder in die Fenster gehängt, oder kleine Prismen in der Sonne platziert, damit der Regenbogen in unsere Wohnungen fällt. Klar. – Heute steht der Regenbogen für die Vielfalt menschlichen Lebens und menschlicher Sexua­lität. Die bunte Stola wird nun zum politischen Statement – auch wenn unsere Bischöfe bei der Bistums­wallfahrt unter Regenbogen-Schirmen stehen...

Aber eigentlich geht es im Ersten Testament nicht um die Buntheit. Es handelt sich vielmehr um den Kampfbogen, den Kriegsbogen Gottes, und den hängt er an die Wand – Pardon: in die Wolken! Da hängt er. ER wird nicht mehr benutzt. Darauf gibt es kein Anrecht. Aber Gott sagt, ER wird sich daran halten und seinen Bogen nie mehr gegen Mensch und Schöpfung richten. Das sollte vor allem die­jenigen mal meditieren, die sonst so schnell mit der „Stra­fe Gottes“ bei der Hand sind, wenn es um AIDS geht oder jüngst mit Covid 19. Das müssen wir meditieren mit Blick auf den Kriegsbogen, den Menschen gegen die Schöpfung richten...

Wir können tun und lassen, was wir wollen. Das nennen wir Freiheit. Darin aber liegt auch die große Versuchung...

Mich springt in diesem Jahr die Versuchung Jesu ganz be­sonders an: Bevor es so richtig losgeht mit diesem Jesus aus Nazareth, geht er in die Wüste und wird prompt „vom Satan“ versucht. Das berührt mich. Denn so beson­ders Jesus sicher war, so einzigartig und aus dem „Nor­malen“ herausgehoben, so selbstverständlich erzählen die drei synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus und Lukas) von der Versuchung Jesu.

Keiner von uns kann ohne Versuchungen leben. Seit der Vertreibung aus dem Paradies gehört die Versuchung zu uns Menschen. Wir kommen ihr nicht aus. Was die Versu­chung im Einzelnen sein kann, das haben Lukas und Mat­thäus weiter ausgeschmückt. Es scheint um Macht und Machbarkeitswahn zu gehen, um Herrschaft über andere und Ansehen um jeden Preis, um Überlegenheits­wahn und besser sein wollen als andere...

Keiner von uns kann ohne Versuchungen leben. Und wenn du leitest oder tatsächlich in verschiedenen Zusam­menhängen was zu sagen hast, dann braucht es beson­ders viel Disziplin und Kultur, damit du deine Macht gut einsetzt: zum Aufbau, zum Wohl der Gemeinschaft al­ler Menschen, für die Ermächtigung derer, die (noch) nicht zum Zug kommen, aber ihrerseits so viel zu geben hätten.

Diese Kriterien kann man – und sollte man übrigens auch – auf eine Gemeinde anlegen, die von sich sagt, sie wolle Jesus, dem Christus, nachfolgen, auch auf unsere Ge­meinde hier.

Was aber bedeutet das, wenn Jesus versucht wird? Das scheint keine Kleinigkeit zu sein. „Er lebte bei den wilden Tieren“, sagt der Evangelist ziemlich kryptisch; aber da kann man sich wohl kaum einen Sonntagsausflug mit Da­ckel vorstellen. Da geht es sicher härter und deutlich ge­fährlicher zu.

Für mich deuten sich hier die unkultivierten Impulse an, die wir wahrscheinlich ebenso ausnahmslos alle in uns tragen. Die Wut, die uns befällt, wenn wir uns nicht durchsetzen können; die Angst, die uns in die Flucht schlagen will, wo doch das Standhalten gefragt wäre; das um uns beißen, wenn wir in die Enge getrieben wurden; das sich den eigenen Wünschen und Bedürfnissen hinge­ben, essen und trinken, solange der Vorrat reicht – und leider sind die Vorräte zumindest bei uns scheinbar uner­schöpflich (dass das nur die halbe Wahrheit ist, wissen wir auch); erlaubt ist, was geht und gefällt, auch das sind Tendenzen, die wir spüren und nach denen wir auch oft genug leben. Freiheit, Freiheit, Leben auskosten, so viel nur irgend geht!

Nein, ich bin nicht dagegen, zu genießen und den Wind des Lebens sich um die Nase blasen zu lassen. Wer fände das nicht attraktiv? Aber all das braucht Kultur und Maß, oder es wird zum Trip von Egomanen, wie wir sie doch alle kennen.

Gerade deshalb wage ich zu sagen, dass die Versuchun­gen mit unserer Würde als Menschen zu tun haben. Noch so schlimmes Versagen kann uns diese Würde, die wir als Menschen haben, jemals nehmen. Einen Hund kann man abrichten, damit er das eine tut und das andere lässt. Aber ein Mensch steht in der Entscheidung, das Gute zu wählen und Herr über seine ungeordneten Impulse zu werden. Wo er das aber tut, da werden die „wilden Tiere gezähmt, da steht Gott ihm bei, da dienen ihm die Engel.

Das ist doch eine großartige Verheißung. Wir kommen nicht ohne Schuld und Versagen durch dieses Leben. Wir fallen und müssen wieder aufstehen. Aber da, wo wir das wahrnehmen und unsere Begrenztheit akzeptieren, wo wir uns den „wilden Tieren“ stellen, da schickt Gott seine Engel – wie ER sie Jesus Christus in der Wüste geschickt hat.

Am Anfang dieses Textes irritiert die Formulierung, dass „der Geist Jesus in die Wüste trieb“. Ich werde erinnert an die Formulierung im (deutschen) Vaterunser , mit der of­fenbar auch Papst Franziskus so seine Schwierigkeiten hat (aber das ist tatsächlich die korrekte Übersetzung des Griechischen): „...und führe uns nicht in Versuchung“ (Im Spanischen heißt es wörtlich: „Lass uns nicht in Versuchung fallen oder sogar: lass uns in der Versuchung nicht fallen.

Führt Gott uns nicht vielmehr in die Freiheit? Doch hier steht, Er führe uns auch in die Versuchung... Jesus treibt der Geist hinaus in die Wüste, sagt Markus. Der Weg in die Freiheit führt durch die Wüste. Die Freiheit, die Jesus lebt und verkündet, sie fällt nicht vom Himmel. Sie kommt aus der Wüste, wo ich meinen Abgründen und Ängsten, meinen Aggressionen und Bequemlich­keiten un­geschminkt begegne. Wo ich mich meinem Schatten stel­len muss – und einsehen muss, dass ich nicht selber Gott bin.

Wenn ihr euren Kindern alle Steine aus dem Weg zu räu­men versucht, ist das zwar verständlich, aber ich bin nicht sicher, ob ihr ihnen damit wirklich einen Gefallen tut. Ir­gendwann muss man ran an die „wilden Tiere“...

Dann werde ich bereit für die frohe Botschaft: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15)